Dr. Harald Weiß

Haft ohne Urteil

Strafprozessuale Freiheitsentziehungen im deutsch-französischen Vergleich

Status

Das Projekt ist abgeschlossen

Publikation

  • 891 Seiten; Berlin, 2015
  • ISBN: 978-3-86113-807-5 (Max-Planck-Institut)
  • Preis: 60 EUR

Auszeichnung mit der Otto-Hahn-Medaille der Max-Planck-Gesellschaft für hervorragend qualifizierte junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und mit dem Dissertationspreis der Deutsch-Französischen Hochschule.

Die Verhaftung bildet den massivsten Eingriff in die Freiheitssphäre des Bürgers. Freiheitsentziehungen ohne vorangegangene Verurteilung sind daher auf das Allernötigste zu begrenzen. Der dieser Forderung zugrundeliegende Konsens bezieht sich nicht nur auf die sog. Untersuchungshaft. Er gilt auch für die vorläufige polizeiliche Festnahme. Diese länderübergreifende Grundübereinstimmung wird derzeit durch die Herausbildung eines „europäischen Haftrechts“ weiter gefestigt. Wie die Belange von Bewegungsfreiheit und Sicherheit konkret in Einklang zu bringen sind, ist allerdings noch immer umstritten. Das deutsche Haftrecht hat sich dabei seit seiner Kodifikation in der StPO als bemerkenswert stabil erwiesen. Die Gesetzgebung Frankreichs zeichnet sich dagegen durch ihr ständiges Streben nach einer Perfektionierung des Freiheitsschutzes aus. Ein Vergleich der beiden Länder an diesem neuralgischen Punkt des Strafprozesses ist daher von grundlegendem Interesse.

Die Arbeit will herausarbeiten und vergleichen, wie das französische und das deutsche Recht den Ausnahmecharakter strafprozessualer Freiheitsentziehungen verwirklichen. Der Untersuchung liegt die Prämisse zugrunde, dass die Umsetzung dieses Ausnahmecharakters in vier Bereichen ansetzen kann: Dies sind (1.) die Anordnung, (2.) die Aufrechterhaltung, (3.) die garantiemäßige Ausgestaltung sowie (4.) die gerichtliche Kontrolle der Haft. Die vier Analysestufen konkretisieren die Forschungsfrage. Sie zeichnen zugleich den Aufbau der Untersuchung vor. Zentrale Forschungsmethode der Arbeit ist die funktionale Rechtsvergleichung. Den Ausgangspunkt des Vergleichs bilden daher nicht spezifische nationale Institutionen. Stattdessen baut die Untersuchung auf der Erkenntnis auf, dass beide Länder mit der „Polizeihaft“ einerseits und der „Justizhaft“ andererseits zwei Grundformen strafprozessualer Freiheitsentziehungen kennen. Diese bedürfen der gesonderten Analyse.

Die - im deutschen Schrifttum bislang vernachlässigte - Polizeihaft ist durch die polizeiliche Anordnung, den Vollzug auf dem Polizeirevier, die eher kurze Dauer sowie die vergleichsweise schwache verfahrensrechtliche Absicherung gekennzeichnet. Die Justizhaft wird durch die gerichtliche Anordnung, den Vollzug im Gefängnis, die tendenziell lange Dauer sowie das relativ hohe Garantieniveau geprägt. Hintergrund dieser fundamentalen Zweiteilung ist der für alle Freiheitsentziehungen anerkannte Richtervorbehalt (habeas corpus): Zwar müssen Tatverdächtige manchmal auch schon vor der Befassung eines Richters vorübergehend festgehalten werden. Die längerfristige Inhaftierung in einer Haftanstalt setzt jedoch stets einen Haftbefehl voraus.

Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich die beiden Haft-Metakategorien sowie das vierstufige Analysemodell als gemeinsame Strukturelemente für eine umfassende Haftrechtsvergleichung eignen. Dies gilt selbst für den Vergleich solcher Rechtsordnungen, bei denen die Bedeutung der Polizeihaft ganz erheblich variiert. Die Gegenüberstellung der Ausgestaltung der Eingriffsbefugnisse hat deutlich gemacht, dass beide Länder bei der Verwirklichung des Freiheitsschutzes mitunter recht unterschiedliche Akzente setzen. So achtet das französische Recht z.B. inzwischen stärker als die StPO darauf, dass festgenommene Personen bei Vernehmungen effektiv Zugang zu einem Verteidiger haben. In Deutschland dagegen kommt der Verhältnismäßigkeitskontrolle im Einzelfall größere Bedeutung zu. Im Hinblick auf einen verbesserten Schutz der Freiheitsrechte können mithin beide Länder von den Lösungen der anderen Rechtsordnung profitieren. Über den Haftrechtsvergleich i.e.S. hinaus leistet die Untersuchung eine vergleichende Analyse der historischen, verfassungs- und sicherheitsrechtlichen sowie der strafprozessualen Zusammenhänge. So können weitergehende Erklärungsansätze für die festgestellten Konvergenzen und Divergenzen aufgezeigt werden.

Dr. Harald Weiß

Dr. Harald Weiß wurde in München geboren. Er studierte Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und an der Université Paris II Panthéon-Assas. In Paris erwarb er 2003 die Licence und 2004 die Maîtrise en Droit. Die Erste Juristische Prüfung legte er 2007 in Bayern ab. 2009 absolvierte er das Zweite Juristische Staatsexamen in Baden-Württemberg. Von 2001 bis 2007 war er Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes. Außerdem wurde sein Studium durch ein Stipendium der Bayerischen Begabtenförderung unterstützt.

Von 2009 bis 2013 war er als Referent für Europäisches Strafrecht und Leiter des Frankreich-Referats am Freiburger Max-Planck-Institut tätig. Die Aufnahme in die Research School erfolgte im Dezember 2010. Diverse Forschungsaufenthalte in Frankreich (Strasbourg, Mulhouse und Paris) wurden vom Deutsch-Französischen Doktorandenkolleg zur Rechtsvergleichung im Öffentlichen Recht gefördert. Seine Promotion schloss er im Juli 2014 mit dem Rigorosum ab.