Dr. Gang Wang

Die strafrechtliche Rechtfertigung von Rettungsfolter

Ein Rechtsvergleich zwischen Deutschland und den USA

Status

Das Projekt ist abgeschlossen

Publikation

  • 428 Seiten; Berlin, 2014
  • ISBN: 978-3-86113-815-0
  • Preis: 41 EUR

Seit Jah­ren wird in Deutsch­land mit gro­ßer In­ten­si­tät dis­ku­tiert, ob die sog. Ret­tungs­fol­ter zur Er­lan­gung von In­for­ma­tio­nen, die das Leben des ent­führ­ten Op­fers oder sogar einer Viel­zahl von Men­schen ret­ten kön­nen, und der Ab­schuss eines von Ter­ro­ris­ten ge­ka­per­ten Flug­zeugs, durch den Men­schen­le­ben am Boden auf Kos­ten des Le­bens von Pas­sa­gie­ren ge­währ­leis­tet wer­den, straf­recht­lich ge­recht­fer­tigt wer­den kön­nen. In den USA wurde eine ähn­li­che Aus­ein­an­der­set­zung be­reits durch die Ter­ror­an­schlä­ge vom 11. Sep­tem­ber 2001 aus­ge­löst. Als wich­tigs­te Ver­tre­ter der bei­den Rechts­sys­te­me der Welt spie­geln die ver­schie­de­nen Lö­sun­gen in Deutsch­land und in den USA ein un­ter­schied­li­ches Ver­ständ­nis so­wohl vom Straf­recht als auch von der Be­zie­hung zwi­schen den Bür­gern und dem Staat wider. Daher ist ein Rechts­ver­gleich zwi­schen den bei­den Län­dern be­son­ders in­ter­es­sant und loh­nens­wert.

Aus­gangs­punkt der Ar­beit war die straf­recht­li­che Recht­fer­ti­gung von Ho­heits­trä­gern in sog. tra­gic choice-Kon­stel­la­tio­nen, in denen zu­min­dest zwei Wert­an­ru­fe in eine Kol­li­si­ons­la­ge ge­ra­ten, die ohne An­tas­tung des Kern­be­reichs zu­min­dest eines der zu­grun­de lie­gen­den ver­fas­sungs­recht­li­chen Prin­zi­pi­en nicht ge­löst wer­den kann. An­hand der Bei­spie­le Ret­tungs­fol­ter und Flug­zeug­ab­schuss wur­den nicht nur die Rechts­vor­schrif­ten der Not­wehr und des Not­stands in den bei­den Län­dern, son­dern auch die Lö­sun­gen kon­kre­ter Fälle sowie ihre Be­grün­dun­gen mit Rück­sicht auf alle funk­tio­na­len Äqui­va­len­te der je­wei­li­gen Rechts­ord­nung ver­gli­chen.

In Deutsch­land schei­tert eine Recht­fer­ti­gung der Ret­tungs­fol­ter durch Not­wehr an der Ge­bo­ten­heit. Die so­zi­al­ethi­schen Ein­schrän­kun­gen des Not­wehr­rechts be­ru­hen auf den bei­den im sel­ben Rang ste­hen­den Grund­ge­dan­ken der Not­wehr, näm­lich dem In­di­vi­du­al­schutz ei­ner­seits und der Rechts­be­wäh­rung an­de­rer­seits. Da das Grund­ge­setz als ge­schrie­be­ne Ver­fas­sung an der Spit­ze der Hier­ar­chie der Rechts­nor­men in Deutsch­land steht, auf das sich alle an­de­ren Rechts­nor­men zu­rück­füh­ren las­sen müs­sen, be­steht die Mög­lich­keit, das Not­wehr­recht, ba­sie­rend auf dem Rechts­be­wäh­rungs­prin­zip, mit­hil­fe der ver­fas­sungs­recht­li­chen Wer­tent­schei­dun­gen, ins­be­son­de­re der Men­schen­wür­de­ga­ran­tie, ein­zu­schrän­ken. Denn die Rechts­ord­nung kann nur ein sol­ches Ver­hal­ten ver­tei­di­gen, das im Ein­klang mit der durch die Ver­fas­sung kon­sti­tu­ier­ten ob­jek­ti­ven Wer­te­ord­nung steht. Da der Ein­griff in die Men­schen­wür­de des Tä­ters durch Ret­tungs­fol­ter weder durch das Recht des Op­fers auf Leben noch durch sei­nen An­spruch auf Men­schen­wür­de le­gi­mi­tiert wird, ist davon aus­zu­ge­hen, dass die Ret­tungs­fol­ter eine Ver­let­zung der Men­schen­wür­de des Tä­ters dar­stellt und wegen der so­zi­al­ethi­schen Ein­schrän­kung des Not­wehr­rechts nicht durch § 32 StGB ge­recht­fer­tigt wer­den kann. Wegen der Ver­let­zung der Men­schen­wür­de fehlt der Ret­tungs­fol­ter auch die An­ge­mes­sen­heit in Sinne des § 34 StGB.

Für die Recht­fer­ti­gung des Ab­schus­ses eines Flug­zeugs mit un­schul­di­gen Pas­sa­gie­ren, das von Ter­ro­ris­ten ent­führt und zur An­griffs­waf­fe um­funk­tio­niert wor­den ist, fin­den die Not­wehr und der De­fen­siv­not­stand keine An­wen­dung. Der Flug­zeug­ab­schuss lässt sich aber auch nicht durch Ag­gres­siv­not­stand recht­fer­ti­gen, weil die So­li­da­ri­täts­pflicht der Un­be­tei­lig­ten, die im Wesen des recht­fer­ti­gen­den Ag­gres­siv­not­stands liegt, ihre Ober­gren­ze in den so­ge­nann­ten Grund­gü­tern oder bür­ger­lich-exis­ten­zi­ell be­deut­sa­men Gü­tern fin­det. So kön­nen Ein­grif­fe in exis­ten­zi­el­le Güter eines an der Kon­flik­tent­ste­hung Un­be­tei­lig­ten, vor allem in sein Leben, nie zu­läs­sig sein.

Dr. Gang Wang

Dr. Gang Wang wurde in Hunan, Volks­re­pu­blik China, ge­bo­ren. Von 1999 bis 2006 stu­dier­te er Jura mit Schwer­punkt Straf­recht an der Tsin­g­hua-Uni­ver­si­tät in Pe­king. Im Jahr 2006 schloss er sein Stu­di­um mit dem Er­werb des Ti­tels „Ma­gis­ter der Rechts­wis­sen­schaft“ ab.

Im Stu­di­en­jahr 2009 be­en­de­te er ein Post­gra­du­ier­ten­stu­di­um an der Al­bert-Lud­wigs-Uni­ver­si­tät Frei­burg, mit dem Er­werb des „Ma­gis­ter Legum“ (LL.M.).

Die Auf­nah­me in die Re­se­arch School er­folg­te im Sep­tem­ber 2009, der Ab­schluss im Juli 2013.

Dis­ser­ta­ti­ons­be­treu­er:
Prof. Dr. Wal­ter Per­ron