Dr. Nandor Knust

Strafrecht und Gacaca

Die Aufarbeitung des ruandischen Völkermords mit einem pluralistischen Rechtsmodell

Status

Das Projekt ist abgeschlossen

Publikation

  • 423 Seiten; Berlin, 2013
  • ISBN: 978-3-86113-824-2
  • Preis: 41 EUR

Auszeichnung mit der Otto-Hahn-Medaille der Max-Planck-Gesellschaft für hervorragend qualifizierte junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Auf systematische Massengewalt wird mit unterschiedlichen rechtsförmigen Verfahren reagiert, seien sie staatlicher, nichtstaatlicher oder gemischt staatlich/nichtstaatlicher Natur. Diese Verfahren finden in gesellschaftlichen Wandlungsprozessen statt, weshalb sie oft auch unter dem Sammelbegriff „Transitional Justice“ erfasst werden. Dies zeigt sich besonders deutlich im Fall des ruandischen Völkermords, der vornehmlich durch drei unterschiedliche Rechtssysteme aufgearbeitet wird: das UN International Criminal Tribunal for Rwanda (ICTR), die nationale ruandische Strafgerichtsbarkeit und die neo-traditionellen lokalen Gacaca-Gerichtsbarkeiten.

In der Forschungsarbeit wurde die Kombination dieser drei unterschiedlichen Sanktionssysteme im Umgang mit der ruandischen Massengewalt untersucht. Die Verfahren und Sanktionen dieser drei Rechtssysteme wurden verglichen, um deren Funktion im Verhältnis zum jeweils anderen Verfahren zu verstehen. Rechtstatsächlich wurden hierfür die rechtspolitischen Zielsetzungen der einzelnen Verfahren und deren Umsetzung überprüft. Methodisch setzt die Forschungsarbeit dabei auf einen pluralistischen Ansatz, der über die bislang an westlichen Strafrechtsmaßstäben orientierte Diskussion zur rechtsförmigen Reaktion auf Massengewalt hinausgeht. Dadurch wurden Informationen für zukünftige Transitionsprozesse gewonnen.

Die Arbeit zeigt, dass die Kapazität des herkömmlichen (Völker-)Strafrechts einer Erfassung von allen Tätern nach Massengewalt nicht gewachsen ist und somit die funktionalen Grenzen des Strafrechts überschritten werden. Wenn das Sanktionssystem sich jedoch als Ziel setzt, alle Täter von Massengewalt einer individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit zuzuführen, muss es, neben dem herkömmlichen Strafrecht, zum Einsatz anderer rechtsförmiger Sanktionsmechanismen, wie z.B. Gacaca, kommen. Im Fall von Ruanda zeigte sich, dass die Spezifikation eines Systems in die eine Richtung die in eine andere ausschließt: Wenn ein System als Zielbestimmung die allumfassende Aburteilung aller Täter hat (Gacaca), kann es nicht gleichzeitig die Einhaltung aller internationalen Standards garantieren – und umgekehrt (ICTR). Somit muss im Einzelfall abgewogen werden, was konkret erreicht werden soll. Im vorliegenden ruandischen Fall haben alle drei Systeme ihre Ziele sehr ähnlich formuliert, jedoch sind ihre Ansätze und Wirkungsweisen bzw. -orte gänzlich andere, sodass die verfahrensrechtliche Ausgestaltung der drei Systeme diametral zueinander steht. Auf internationaler Ebene wird von nicht am Konflikt Beteiligten ein bürokratisches System von festgeschriebenen Regeln und Verfahrensabläufen angewandt, um vor der internationalen Gemeinschaft eine gerechte, unparteiische und nachvollziehbare Entscheidung zu generieren. Auf nationaler und lokaler Ebene fußt das Verfahren zwar ebenfalls auf einem administrativ geregelten Verfahren, jedoch sind im Gacaca-Verfahren alle Konfliktbeteiligten fest in einem restaurativen Prozess integriert, sodass die Interaktion von Täter und Opfer als solche im Vordergrund steht – und nicht die daraus folgende Streitentscheidung und Sanktion.

Die Untersuchung ergab, dass eine Kombination von verschiedenen Sanktionssystemen mit unterschiedlicher verfahrensrechtlicher Ausgestaltung eine genauere und punktuelle Wirkung der Aufarbeitung von Massengewalt ermöglicht. Daher ist davon auszugehen, dass nur durch ein spezielles, der jeweiligen Situation entsprechendes pluralistisches System der Transitional Justice den vorgegebenen Zielsetzungen entsprochen werden kann.

Dr. Nandor Knust

Dr. Nandor Knust wurde in Frankfurt a.M. geboren. Von 1995 bis 2004 studierte er Rechtswissenschaften an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt. Das erste juristische Staatsexamen absolvierte er im Januar 2004. Im Studienjahr 1999 schloss er ein Postgraduiertenstudium an der Université de Paris X-Nanterre mit dem Erwerb der „Maîtrise en droit international public“ ab.

Im Jahr 2004 absolvierte Nandor Knust ein Praktikum beim UN-International Criminal Tribunal for Rwanda, Arusha, Tansania und Kigali, Ruanda und begann seine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Referat Afrika am Max-Planck-Institut. Dort betreute er von Februar 2006 bis März 2007 das Referat Völkerstrafrecht, sechs Monate davon als Interims-Referatsleiter.

Die Aufnahme in die Research School erfolgte im April 2007. Im Juli 2011 schloss er seine Promotion ab.