Dr. Michela D‘Angelo

Die Gegenwärtigkeit des Angriffs im Notwehrrecht

Eine rechtsvergleichende Studie am Beispiel neuer Konfliktmuster

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Das Projekt ist abgeschlossen

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Gegenstand der Untersuchung ist das Merkmal der Gegenwärtigkeit des Angriffs auf das zu schützende Rechtsgut im Notwehrrecht. Hierüber findet schon seit Jahrzehnten eine intensive Debatte statt, die zunehmend auch international an Bedeutung gewonnen hat. Die vergleichende Analyse verschiedener Rechtsordnungen ergibt, dass im Mittelpunkt die Frage steht, von welchem Zeitpunkt des Angriffsgeschehens an das Recht auf Notwehr gilt. Daran lehnen sich eng das Thema der „Präventiv-Notwehr“ an sowie die notwehrrechtliche Einordnung von Konstellationen, in denen der Eintritt des drohenden Schadens erst nach Ablauf einer gewissen Zeit zu erwarten, aber sofortiges Handeln zur Verhinderung einer Schädigung angezeigt ist.

Zur näheren Bestimmung des Gegenwärtigkeitskriteriums und zur Beantwortung der Frage, ob sich die vorbeugende Verteidigung des voraussichtlichen Opfers mit dem Rechtfertigungsgrund der Notwehr legitimieren lässt, ist auf dessen Grundgedanken einzugehen, dem Einzelnen Schutz vor rechtswidrigen Angriffen auf seine Rechte zu gewährleisten, soweit ihm dafür keine effektiven staatlichen Maßnahmen zur Verfügung stehen.

Ausgangspunkt der umfassenden rechtsvergleichenden Betrachtung ist das italienische Notwehrrecht, welches das Vorliegen einer „gegenwärtigen Gefahr“ voraussetzt. Diese wird bei der „Präventiv-Notwehr“ in der Regel verneint. Auch nach herrschender Ansicht im deutschen Strafrecht ist eine Rechtfertigung von präventiver Verteidigung durch Notwehr wegen des fehlenden Gegenwärtigkeitserfordernisses ausgeschlossen. Am häufigsten wird hier eine Strafmilderung angenommen oder entschuldigender Notstand in Betracht gezogen. Auch im englischen und US-amerikanischen Strafrecht wird die Notwehrlage in der Regel durch eine aktuell bestehende oder unmittelbar bevorstehende Gefahr (imminent threat bzw. immediate danger) charakterisiert. Dazu kommt, dass in den meisten Ländern des Common Law in die Beurteilung des Gegenwärtigkeitserfordernisses subjektive Elemente (what the actor reasonably believed) einzubeziehen sind. Vor diesem Hintergrund hat sich vor US-amerikanischen Gerichten unter Berufung auf die individuellen Erfahrungen und die subjektive Gefahrempfindung von gepeinigten Frauen (battered-woman syndrome) die Tendenz zur Rechtfertigung der Verteidigungsreaktion aus Notwehr entwickelt.

Die Arbeit gliedert sich in vier Hauptteile. Die ersten drei enthalten jeweils einen Landesbericht über Italien, Deutschland und das Common-Law-System mit Schwerpunkt England und USA. In jedem Landesbericht wird ein Überblick über das Notwehrinstitut vermittelt. Im Zentrum stehen jeweils das Gegenwärtigkeitserfordernis und die Frage der „Präventiv-Notwehr”, veranschaulicht mit dem klassischen Fall der Tötung des „Haustyrannen“ durch sein Langzeit-Opfer außerhalb einer unmittelbaren Angriffs-Situation. Im vierten und letzten Teil widmet sich die Arbeit dem Vergleich der zuvor gewonnenen Erkenntnisse und der Entwicklung eigener Ergebnisse. Aus den Grundlagen der Notwehr ergibt sich, dass dessen Kern durch das subjektive Rechtfertigungselement des Verteidigungswillens gebildet wird. Zur Beantwortung der Frage, ob das Notwehrrecht beim objektiven Fehlen des Gegenwärtigkeitsmerkmals zur Zeit der Tat im Einzelfall ausgeübt werden darf, sollte daher überprüft werden, ob der Täter zum Zweck der Verteidigung gehandelt hat. Ein Anknüpfungspunkt hierfür lässt sich im angloamerikanischen Common-Law-System in Gestalt des „honest belief” des Angegriffenen finden. In die gleiche Richtung geht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bei seiner Auslegung von Art. 2 Abs. 2 EMRK.

Dr. Michela D‘Angelo

Michela D'Angelo wurde in Padua, Italien, geboren. Von 2005 bis 2011 studierte sie Rechtswissenschaft an der Università degli Studi di Padova (Italien). Im Jahr 2008 erwarb sie den Titel des “Dottore in scienze giuridiche” und im Jahr 2011 schloss sie ihr Studium mit dem Erwerb des “Dottore in Giurisprudenza“ ab.

Während ihres Studiums erhielt sie Stipendien der Universität Padua sowohl an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (2007–2008), als auch an der Université Robert Schuman de Strasbourg, Frankreich, (2008–2009) und schließlich an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (2009–2011).

Seit 2012 ist sie Doktorandin im Rahmen einer Cotutelle-Vereinbarung an der Universität Padua bei Prof. Dr. Mauro Ronco und an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg bei Prof. Dr. Walter Perron. Seitdem ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafrechtsvergleichung der Universität Padua bei Prof. Dr. Mauro Ronco tätig. Die Aufnahme in die Research School erfolgte im August 2014.

Dissertationsbetreuer:
Prof. Dr. Walter Perron